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Ostend im stetigen Umbruch

Häuser vor der EZB
Kein anderer Frankfurter Stadtteil hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten so verändert wie das Ostend. Ab den 1980er Jahren entdeckten Galerien und Agenturen die alten Hafenareale. Leerstehende Lager und Kontore waren in der Miete konkurrenzlos günstig. Den Künstlern folgten Hotels, Autohäuser und Clubs, die sich an der Hanauer Landstraße, Hauptverkehrsschlagader im Osten der Stadt, niederließen. Der Umzug der EZB aber stellt für das Viertel eine Zäsur dar. Teile der Bewohnerschaft beäugen die neuen Nachbarn mit Argwohn. Andere sehen die Chancen.

Wo man derzeit auch steht und wohin man schaut, wird gerade gebaut. Selbst kundige Beobachter geben zu, dass sie den Überblick verlieren. Honselldreieck, alte Feuerwache, die Westseite der Sonnemannstraße, wo früher das Sudfass, Frankfurts berühmtestes Bordell stand – das sind nur die größeren Projekte, die den Wandel rund um die neuen Zentralbanktürme derzeit prägen. Ihre Namen klingen mondän: „Hafenpark Quartier„, „Oscar Residence“ oder „Eastside„.

Gute Mischung erwünscht
Dort und an anderen Stellen im Ostend sollen in den nächsten Jahren bis zu 1.000 neue Wohnungen entstehen, außerdem mehrere tausend Quadratmeter Fläche für Büros und Hotelzimmer. Das ist viel, die Stadtpolitik will damit helfen, Druck vom Wohnungsmarkt zu nehmen. Der Magistrat hat sich für eine Kombination der Mittel entschieden. Ein hoher Anteil geförderten Wohnraums soll die soziale Mischung im Viertel gewährleisten. Auch eine Milieuschutzsatzung will er für das Ostend aufsetzen, um die beschriebenen Prozesse zu verlangsamen und der angestammten Bevölkerung ihre Ängste zu nehmen.

Mieten steigen
Die Aufwertung des Viertels ist unbestritten: Stephan Schlocker, Immobilien-Sachverständiger für die Industrie- und Handelskammer Rhein-Main, beobachtet den Markt der Neuvermietungen. „Momentan liegen wir bei einem Quadratmeterpreis knapp über 11 Euro. Im Nordend sind es 12,50, in Bornheim 12 Euro. Die Spitzen reichen bis 14,50 Euro.“ Zum Vergleich: 2008 lag das Gros noch bei 9 mit Spitzen um 12 Euro - im Nordend bei 11 bzw. 13 Euro, in Bornheim bei 10 bzw. 13 Euro.

„Wenn früher einer gesagt hat, er wohne im Ostend, hat man geringschätzig die Achseln gezuckt„, erinnert sich Michael Debus, der als Vorsitzender des Gutachterausschusses für Immobilienwerte die Kaufbewegungen im Blick hat. Gemäß dem jüngsten Halbjahresbericht war 2012 das Jahr, in dem im Ostend und Nordend – beide Stadtteile werden statistisch gebündelt – mit Abstand die meisten Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden: 184. Zum Vergleich: In Sachsenhausen und dem Westhafen waren es 52. Zwei Jahre später dann, 2014, wechselten in Ostend und Nordend insgesamt 25 Mehrfamilienhäuser den Besitzer. Auch das gab es so nirgends.

Überall wird saniert
Zufällige Begegnung am Ostbahnhof: Eine ältere Frau hält plötzlich inne. Sie deutet hinter sich in Richtung der alten Feuerwache. Nach Jahren des Stillstands entsteht dort aktuell ein neuer Wohn- und Geschäftskomplex. Große Maschinen sind angerückt, für die Gründungsarbeiten müssen Pfähle in den Boden gerammt werden. „Sagen Sie, steht das Haus daneben leer?“, fragt sie unvermittelt. Zwei Häuser direkt an der Baustelle wirken tatsächlich etwas vereinsamt. „Da beginnt garantiert schon die nächste Sanierung„, mutmaßt sie. „Alles nur wegen dieser Bank da.“

Das beschriebene Haus steht nicht leer, wie ein Blick im Vorbeigehen klärt. Der so oft als eindeutig beschriebene Zusammenhang zwischen der neuen EZB und den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt sei nicht korrekt, sagen Experten. Stadtplaner wie Martin Neitzke erinnern daran, dass der Bau neuer Etagenhäuser in der Oskar-von-Miller-Straße oder die städtischen Sanierungsprojekte in der Uhland- und der Windeckstraße länger zurückliegen als die Umzugsentscheidung der EZB. Das war 2002. Auch die neue Osthafenbrücke und die damit verbundene Verkehrsentlastung des Stadtteils wurden schon viel früher geplant.

Kurze Wege sind begehrt
Neitzke nennt die EZB deshalb lieber Katalysator als Verursacher, und auch Schlocker widerspricht dem verbreiteten Klischee: „Die EZB hat natürlich einen Effekt auf den Immobilienmarkt, gerade weil sie in ihrem Schlepptau viele Dienstleister mitbringt. Bei den Wohnungen erstreckt sich die Wirkung aber auf die ganze Region, weniger auf den Stadtteil.„ Maßgeblicher sei aus seiner Sicht der seit Jahren anhaltende Trend zum Wohnen in der Stadt. Die Menschen legten heute mehr Wert auf kurze Wege, eine intakte soziale Infrastruktur und Kulturangebote. Um diese Nachfrage zu stillen, gebe es zu wenig Flächen.

Hoffnungen werden geweckt
Auch Debus sieht für den Preisanstieg höchstens eine Überlagerung verschiedener Ursachen. Er könne nicht erkennen, dass sich EZB-Beschäftigte in großer Zahl Häuser im Ostend kauften. Auch das ist im Stadtteil eine häufig vorgetragene These. „Wer will denn unmittelbar neben seiner Arbeitsstelle wohnen?“, fragt er und erinnert daran, dass die EU-Behörde nur innerhalb von Frankfurt umzieht. Kein Mitarbeiter würde deshalb seinen privaten Wohnsitz verlegen. Und auch die Mitarbeiter der neu in Frankfurt angesiedelten Bankenaufsicht würden mitnichten alle ins Ostend ziehen.

Neben Wohnraumdebatten und Verdrängungsängsten weckt der Boom rund um die neuen Türme auch Hoffnungen. Green Burger-Läden, schicke Cocktail-Bars oder amerikanische Kaffee-Ketten gab es in dem Stadtteil früher nicht. An der Ecke zwischen Hanauer Landstraße und Sonnemannstraße hat vor einem halben Jahr ein Döner-Imbiss eröffnet. Angesichts von nur einer Hand voll Kunden wirkt der Gastraum reichlich überdimensioniert, doch der Betreiber weiß genau, was er tut. „Ich warte darauf, dass die Banker kommen. Sie werden doch nicht immer nur in ihren Türmen zu Mittag essen wollen.“ Er grinst, dann schaut er etwas nervös. Der Umzug der EZB hatte sich im vergangenen Jahr mehrfach verschoben. Eigentlich sollten sie schon längst da sein, die Zentralbanker.